Mercedes-Benz T 80: Classic Cars
Mit 3500 PS zum 650-km/h-Rekord
3500 PS, 650 km/h – und das alles 1939: Der Mercedes-Benz T 80 ist auf dem Papier der vielleicht eindrucksvollste Rekordwagen aller Zeiten. Classic Cars erinnert sich an den Ausnahme-Silberpfeil.
Waren Sie schon einmal im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart-Untertürkheim? Dann könnte Ihnen ein Silberpfeil aufgefallen sein, der wie ein gestutztes Kampfflugzeug auf Rädern aussieht und damit andere Exponate in den Schatten stellt. Die Rede ist vom Mercedes-Benz T 80, dem nie vollendeten Rekordwagen. Rennfahrer Hans Stuck, Konstrukteur Ferdinand Porsche, Dieselmotor-Wegbereiter Fritz Nallinger: Die Namen seiner Gründerväter lesen sich mindestens so eindrucksvoll wie die technischen Daten.
Der Vater von Hans-Joachim "Strietzel" Stuck gehörte zu den besten Rennfahrern seiner Zeit und hatte doch seinen Zenit überschritten. Bei Auto Union war er ab 1936 vom jungen Bernd Rosemeyer überflügelt worden und suchte die Rettung seines Rufes nun im Geschwindigkeits-Weltrekord. Im Herbst desselben Jahres wandte er sich also an Daimler-Benz, wo er bereits Anfang des Jahrzehnts von Sieg zu Sieg gefahren war. Sein Vorschlag: Die Marke sollte den ultimativen Rennwagen bauen, mit dem mächtigem DB 601 Flugmotor aus eigenem Hause – und natürlich mit Stuck am Steuer, der für die Kosten der Rekordfahrt selbst aufkommen wollte. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Das Mercedes-Benz CLE Coupé (2023) im Fahrbericht (Video):
Classic Cars blickt auf den Rekordwagen Mercedes-Benz T 80 zurück
Stucks kühner Vorschlag fand unter dem Vorzeichen des NS-Regimes fruchtbaren Boden: Das Auto sollte die jahrelang dominierenden britischen Rekordwagen schlagen und damit die Überlegenheit der deutschen Ingenieurskunst, gar des deutschen Wesens auch in dieser Hinsicht untermauern. Die Entwicklung übertrug man dem Porsche Konstruktionsbüro, das nebenbei noch mitten in einem anderen Großprojekt steckte: dem VW Käfer-Vorreiter KdF-Wagen. Von dort leitete sich auch der Name des Über-Silberpfeils ab: Porsche benannte seine Entwicklungen mit einem "T" für "Typ" und einer mehr oder weniger stringenten Zahlenfolge. So hieß der ebenfalls von Porsche entwickelte Auto Union Grand Prix-Rennwagen von 1934 T 22, der KdF-Prototyp von 1936 T 60 und der nun darauf folgende Mercedes T 80.
Mit dem Auto Union hatte der Mercedes-Benz T 80 die Mittelmotor-Anordnung gemein, allerdings saß hinter dem Sitz kein 4,4 bis 6 l großer V16, sondern ein monströser V12 mit anfänglichen 33,9 l Hubraum. Unter dem technischen Direktor Fritz Nallinger gelang es, aus den serienmäßigen 1500 PS (1103 kW) mithilfe von Spezialkraftstoff und vieler weiterer Modifikationen beinahe das Doppelte, also 2770 PS (2036 kW), herauszukitzeln. Porsche hatte ausgerechnet, dass der Mercedes samt seines cW-Werts von 0,18 bereits mit 2200 PS (1618 kW) den amtierenden Rekord von 484 km/h locker pulverisieren könnte. Doch man hatte die Rechnung ohne George Eyston und John Cobb gemacht: Die waghalsigen Briten überboten sich auf den Bonneville Salt Flats (USA) zwischen 1937 und 1939 mehrfach mit astronomischen Geschwindigkeiten, sodass am Ende 595 km/h zu knacken waren.
2770 PS sind noch lange nicht genug
Es musste also ein noch stärkerer Motor für den Mercedes-Benz T 80 her, den man in Form des DB 603 auch finden konnte. Dabei handelte es sich ebenfalls um einen V12-Flugmotor, der sich aber noch im Prototypen-Stadium befand und mit 44,5 l Hubraum und einem Kompressor in Autoreifen-Dimension Spitzenleistungen von 3500 PS (2574 kW) bei 3460 Umdrehungen mobil machte. Diese Urgewalt verband der T 80 mit cleveren Details, die noch Jahrzehnte später für staunende Gesichter sorgen: So verzichtete das Modell zugunsten des Gewichts auf ein Getriebe, stattdessen kam eine Fliehkraft-Kupplung zum Einsatz. Auch dank 0,3 mm dünner Aluminiumverkleidung war der Daimler nur etwa halb so schwer wie seine britischen Widersacher. Zudem besaß der T 80 bereits eine Art Antischlupfregelung, die das Durchdrehen und damit den vorzeitigen Verschleiß der vier hinteren Antriebsräder verhindern sollte.
Ausgerechnet in Sachen Räder offenbarten sich die Schattenseiten der NS-Propaganda: Selbstverständlich musste Mercedes mit deutschen Lieferanten zusammenarbeiten, statt auf die bewährten Hochgeschwindigkeitsreifen aus England zu setzen. Auf dem Prüfstand verwandelten sich die Drahtspeichenräder bereits bei 500 km/h in ein stählernes Mikado. Zudem sollte auch die Mercedes-Benz-Rekordfahrt mit dem Projekt T 80 auf heimischen Boden stattfinden. Zu sehr fürchteten die Nazis, dass der Renner bei einem Unfall von den US-Behörden einkassiert werden könnte und dessen fortschrittlicher Motor damit einem potenziellen Feind in die Hände fallen würde. Stattdessen wählte man ein frisch angelegtes Autobahnteilstück bei Dessau, das allerdings über einen von Hand betonierten Mittelstreifen verfügte und damit jenseits der 600 km/h zur tückischen Todesfalle geworden wäre.
Der Wert des T 80? Unbezahlbar
Somit wartete der gut 8,2 m lange, 3,2 m breite und knapp 1,3 m hohe Mercedes-Benz T 80 noch vor Kriegsbeginn 1939 nahezu fertig auf seine Jungfernfahrt – und wartete und wartete. Interessanterweise war es nicht der unmittelbare Kriegsbeginn, der das Projekt beerdigte. 1940 bat die Daimler-Benz AG die Regierung um eine anteilige Übernahme der Entwicklungskosten von 600.000 Reichsmark und versicherte gleichzeitig, dass man sich nach dem Krieg um den jahrelang angepeilten Rekord bemühen würde.
Doch statt Unterstützung forderte das Regime nun den Motor zurück, um ihn der Luftwaffe zu übergeben. Der T 80 wurde zerlegt und jahrzehntelang eingelagert. Gitterrohrrahmen und Alu-Karosserie gelangten 2006 in die Dauerausstellung in Stuttgart. Das originale Fahrgestell restaurierte die Marke im Juli 2018. Fahren wird der mächtigste Mercedes-Benz aller Zeiten aber wohl nie. Deshalb sind die angepeilten 650 km/h bis heute reine Theorie. Das gilt auch für den theoretischen Wert, der mit Hinblick auf den für 135 Mio. Euro verkauften Uhlenhaut-Mercedes 300 SLR locker neunstellig ausfallen dürfte.