Ford Granada V6: Der Sechszylinder-Motor Kölsche Jung
Der über viele Jahrzehnte gebaute V6 aus Köln war ein Lehrstück für clevere Kostenkontrolle und wurde genau deshalb für Ford ein Erfolg
Freunde des raffinierten Maschinenbaus stempeln ein Aggregat wie dieses gerne als reizloses Schwermetall für Grobmotoriker ab. Oberflächlich betrachtet besaß der 1965 von den Kölner Ford-Werken vorgestellte V-Sechszylinder tatsächlich keinerlei Merkmale hochentwickelter Antriebstechnologie.
Die gewichtige Grauguss-Konstruktion mit der Ventilsteuerung über eine zentrale, stirnradgetriebene Nockenwelle, lange Stößelstangen und Kipphebel folgte altbekannten Pfaden des Motorenbaus.
Technische Sensationen sahen schon vor 50 Jahren anders aus. Trotzdem war dieser V6 auf seine Art raffiniert und für die deutschen Ford-Werke ein großer Erfolg: Das Aggregat aus Köln überdauerte mehrere Modellgenerationen und setzte sich in einem konzerninternen Duell gegen den zeitgleich in Dagenham für die englische Ford-Palette entwickelten „Essex“-V6 durch.
Die Fertigung des englischen V6 wurde 1981 eingestellt, doch der Kölner Sechszylinder kam in weiterentwickelter Form noch im Scorpio II zum Einsatz. Für den Einsatz im US-Geländewagen Ford Explorer schwang er sich sogar zu satten vier Litern Hubraum auf.
STAR DER OBEREN MITTELKLASSE
Die Cleverness der Kölner Ford-Ingenieure bestand darin, durch Anwendung des Baukastensystems und Einsatz neuer Fertigungsverfahren eine günstige Alternative zu den Motoren der arrivierten Konkurrenz zu entwickeln. Der V6 war ein enger Verwandter des zuvor für den Taunus P4 entwickelten V4-Motors.
Seine Zylinderbänke standen wie beim Vierzylinder im 60-Grad-Winkel zueinander, die Motorlager und der Getriebeanschluss waren identisch. Der kompakte Motor passte dadurch problemlos nicht nur in alle Taunus-Varianten, sondern auch in den kleineren Capri und später unter die Motorhauben von Consul, Granada und Sierra.
Allein durch Variation der Bohrung deckte der Ford-V6 zunächst ein Spektrum von 1,8 bis 2,3 Liter Hubraum ab. Das Hubmaß blieb dabei mit 60,14 Millimetern konstant. Beim Vierzylinder erzwang der 60-Grad-Bankwinkel noch den Einsatz einer Ausgleichswelle, um die unausgewogenen Massenkräfte halbwegs unter Kontrolle zu halten.
Beim V6 reichte es dagegen aus, die Pleuel der gegenüberliegenden Zylinder auf versetzten Hubzapfen zu platzieren. So ergab sich eine gleichmäßige Zündfolge und ein vibrationsarmer Lauf. Die Kurbelwelle des Ford-V6 bestand aus GJS, einer speziellen Graugusslegierung, die in ihren mechanischen Eigenschaften einem geschmiedeten Bauteil nahekommt, jedoch billiger zu fertigen ist.
KONSEQUENTES SPARPROGRAMM
Um weitere Kosten zu sparen, opferte Ford gar einen Teil der Leistung: Das zusätzliche Zylinderpaar wurde „seitenverkehrt“ platziert, so dass die Auslasskanäle von je zwei Zylindern pro Bank direkt nebeneinander lagen und – mehr schlecht als recht – mit einem gemeinsamen Abgasrohr auskamen.
Das sparte Material und Geld, doch als Resultat legte der 2,3-Liter-Motor mit einfachem Registervergaser und 108 PS nicht viel Temperament an den Tag. Erst als Ford 1968 beim sportlichen 20M RS Verdichtung und Drehzahl erhöhte, erreichte der 2,3-Liter-V6 selbst mit nur einem Solex-Registervergaser standesgemäßere 125 PS.
Durch weiteres Aufbohren und maßvolle Hubvergrößerung passte Ford den V6 an den Leistungsbedarf der Kundschaft an. 1977 erschien im Granada eine 2,8-Liter-Variante mit 160 PS. Zehn Jahre später gab es für den Scorpio eine 2,9-Liter-Version mit Katalysator, der Cosworth 1991 sogar mit DOHC-Vierventilköpfen auf die Sprünge half.
Der Scorpio V6 24V erreichte damit 195 PS. Am Charakter der großen Ford-Limousinen änderte sich über die Jahre nichts: Sie boten das Prestige eines Sechszylinders zum Preis eines Vierzylinders – ein Schachzug, der allerdings nur solange reizvoll und erfolgreich war, wie der Begri „Premium“ noch allenfalls für Bierwerbung eine Bedeutung besaß und nicht bei Automobilen.
Karsten Rehmann