BMW 3200 CS Bertone: Reportage Ein Bayer im Himmel
Als BMW 3200 CS kommt der Barockengel mit graziler Bertone-Gestalt tatsächlich in den weiß-blauen Himmel. Wir genießen das bayrische V8-Herz auf einer Ausfahrt vom Comer See bis Verona
Da stimmt doch irgendetwas nicht! Gerade erst haben wir mit dem federweißen BMW-Coupé die hohe Gartenmauer der berühmten Villa d’Este am Comer See links liegen gelassen und mogeln uns nun durch den dichten Verkehr hinaus aufs Land. Um uns braust das südlandische Temperament hupend, drängelnd und waghalsig rollernd, aber der nominell 160 PS starke 3,2-Liter-V8 des 3200 CS wirkt eigenartig belegt. Bayrisches Kaltblut?
Nach wenigen hundert Metern ist allerdings klar, dass das große BMW Coupé tatsächlich leidet: schlagartiges Absterben im Leerlauf, unwilliges Wieder-Anstarten, begleitet von dichtem Ölnebel, die Maschine nimmt kein Gas mehr an, dreht kaum noch hoch und legt einen Rundlauf vor, der kaum als solcher zu bezeichnen ist. Von acht Zylindern laufen mittlerweile höchstens noch fünf – Tendenz fallend.
HANDFEST, HERZHAFT, HELLWACH – SO FÄHRT SICH DER 3200 CS
Knarzend und angezählt retten wir uns auf den Hof einer Tankstelle. Gurgelnd verebben die letzten Fehlzündungen, dann herrscht Ruhe. Die Morgensonne streicht sanft über die schlanken Chromränder der herrlichen Rundinstrumente, enttäuscht lassen wir die Hände vom großen Lenkrad sinken und spüren dabei ein wohl letztes Mal, wie die traditionellen Fingeranformungen im glatten Bakelit-Lenkrad durch unsere Handflächen gleiten. Es hätte so eine schöne Fahrt werden können: rund um den Comer See und durch die Berge rüber zum Gardasee und dann im weichen Abendlicht bis hinunter nach Verona. Aber der waidwunde Klassiker scheint zu streiken. Basta. Finale. Jetzt können nur noch die Techniker der BMW-Klassikabteilung unseren Tag retten, wir wählen die geheime Notfall-Nummer – „Hallo?“
Eine knappe Stunde später beugen sich zwei breite bayrische Schultern tief in den Motorraum des 3200 CS, eine hoffnungslos verrußte Zündkerze nach der anderen fällt links in die Nierenschale oben auf dem Zylinderkopf, während an der rechten Zylinderbank bereits wieder nagelneue Kerzen gefühlvoll in die offenen Gewinde gedreht werden. „Das kommt schon mal vor“, sagt eine Stimme von tief unten aus dem Motorabteil. „Mit gezogenem Choke und kaltem Motor ins Parkhaus rangiert, dort abgestellt – und am nächsten Morgen sind die Kerzen so verölt und verrußt, dass man die nicht wieder frei bekommt. Da hilft nur noch Austauschen!“ Allein der gemütliche, bayrische Slang sorgt jetzt bei uns für eine steigende Vertrauenskurve, langsam träumen wir wieder von der Zielankunft in Verona.
Dann ist es soweit: Motorhaube runter, Hände sauber wischen und entschlossen den Zündschlüssel drehen. Rawumm! So muss das klingen! Ohne jedes Zaudern springt der große V8 an, feuert vernehmbar unternehmungslustig auf allen Zylindern, und als wir wenige Sekunden später winkend in die Freiheit hinausbeschleunigen, packt die Maschine wunderbar handfest zu. Weich schwingende Vibrationen statt des kränklichen Gerappels von vorhin, herzhafte Gasannahme, hellwache Drehfreude – so fährt sich also eines der sinnlichsten Gran Turismo-Coupés der frühen 60er-Jahre.
Auf technischer Basis der BMW-„Barockengel“-Baureihe 501/502 wurde zur IAA 1961 das viersitzige Coupé nachgeschoben, das Design des neuen Luxus-Coupés ist jedoch von wunderbar leichter Frische geprägt. Was wiederum wohl daran liegt, dass der Designer des 3200 CS – jetzt nur nicht durcheinanderbringen lassen – Giorgio Giugiaro heißt.
Der erwarb sich damals bei Bertone das Handwerkszeug für spätere Großtaten und hat mit dem BMW 3200 CS bereits eine sehr ansehnliche Kostprobe seines Könnens abgeliefert: Eine moderne, schnelle Silhouette mit eindrucksvoller, aber keineswegs aggressiver Front, ein elegantes Heck sowie große Panorama-Scheiben samt dementsprechend leichter A- und C-Säulen machen das BMW-Bertone-Coupé aus. Auch das Interieur wirkt stilvoll und geräumig, der 3200 CS, mit dem wir nun lustvoll in Richtung Osten streben, weist sich mit Holz-Interieur statt Metall-Armaturenblende und serienmäßigen Ledersitzen statt Stoffsitzen als modellgepflegtes Exemplar aus.
Nur 602 Exemplare wurden zwischen 1962 und 1965 verkauft, Zyniker behaupten, es sei gerade das zurückhaltende Auftreten des BMW 3200 CS gewesen, das die präsentierfreudige Kundschaft der Wirtschaftswunder-Jahre zu plakativeren Wettbewerbern greifen ließ – der eigentliche Konkurrent des 3200 CS dürfte jedoch aus demselben Stall gestammt haben: Gegen den zukunftsorientierten Reiz der zeitgleich vorgestellten „Neuen Klasse“ hatte der 3200 CS keine Chance. Selbst das Mutterhaus ließ dem schönen Coupé wenig Unterstützung zukommen, man konzentrierte sich stark auf die zukunfts- und stückzahlträchtigen neuen Mittelklasse-Modelle. Vermutlich zu Recht.
Dass der 3200 CS Bertone trotzdem seinen Platz im Herzen der Bayern hatte, beweist allerdings die Tatsache, dass Nummer 603 als Cabriolet-Einzelstück ausgeführt und Herbert Quandt geschenkt wurde. Der Großindustrielle hatte nur wenige Monate vorher BMW vor dem Verkauf an Mercedes-Benz bewahrt und die Zukunft der weiß-blauen Automarke gesichert.
KEIN SPORTLER, ABER EIN SAGENHAFTER GRAN TURISMO
Es ist also ein beinahe symbolträchtiges Automobil, mit dem wir nun über Erba in Richtung Bergamo pilgern: zwischen Depression und Aufbruch, ein letzter sinnlicher Gruß an das Gestern und gleichzeitiger Orientierung in die Moderne. Obendrein passt das weiße Coupé perfekt in die Landschaft Oberitaliens – mit kernigem V8-Ton stromert der 3200 CS über die unzähligen schmalen Landstraßen. Hinein geht es in enge Gassen alter Städte, wir führen das große Lenkrad nun ganz entspannt mit den Fingerspitzen und lassen den hubraumstarken Motor brodelnd ziehen. Seitenscheibe runter, Ellbogen raus – das mag nicht die fahrerbetonte Sportlichkeit sein, die man von einem BMW erwartet, aber die Flanier-Sitzposition passt stimmungsvoll zum Treibenlassen, zum Dahinströmen, zum Runterkommen.
Am Ufer des Lago d’Iseo entlang hinüber zum kleinen Idro-See, langsam taucht nun der spätsommerlich glühende Nachmittag auf. Am Ostufer des Sees steigen wir auf die Monte Baldo-Route ein, das verwundene Kurven-Geschlängel fordert jetzt Konzentration und einen zupackenden Fahrer: In den engen Kehren muss der Wagen mit Kraft auf der Straße gehalten werden, die servolose Lenkung fordert ordentlich Armschmalz, um die nötige Lenkgeschwindigkeit und Präzision für den Tanz zwischen den Serpentinen herzustellen. Kilometer um Kilometer frisst sich in die angespannten Arme, das ist anstrengend, aber eine ungemein befriedigende Arbeit.
Der Motor wirkt beim Gleiten, Bummeln und Reisen äußerst souverän, jetzt muss er aber ebenfalls richtig anpacken: Sonor wummernd schiebt er den 1500-Kilo-Wagen voran, treibt ihn lange Steigungen empor, pumpt mit wohldosierten Gasstößen durch schwingende Wechselkurven, bellt und röchelt dabei herzerweichend. Das Fahrwerk liegt stabil und gutmütig, will zu dieser sportlichen Gangart aber beinahe etwas überredet werden: Untersteuernd geht es hinein in die Kurven, dann findet der Wagen sein inneres Ich wieder und gleich danach auch den Kurvenausgang.
Der Fahrer schweigt und arbeitet glücklich in versunkenem Rhythmus: Die Bremsen wollen perfekt dosiert sein, ebenso Gas und Lenkung – die Fortbewegung darf eben nie hektisch werden, sondern sollte stets so elegant wie der Wagen sein. Als wir dann im Sonnenuntergang über das Kopfsteinpflaster Veronas rollen, sind wir eins mit dem 3200 CS. Genauso bilderbuchperfekt hatten wir uns das vorgestellt.
BMW 3200 CS Bertone: technische Daten und Fakten |
Antrieb V8-Zylinder; längs eingebaut; 2-Ventiler; unten liegende Nockenwelle, Stoßstangen und Kipphebel; Gemischbildung: 2 DoppelFallstromvergaser; Bohrung x Hub: 82,0 x 75,0 mm; Hubraum: 3168 cm3; Verdichtung: 9,0:1; Leistung: 118 kW/160 PS bei 5600/min; maximales Drehmoment: 235 Nm bei 5600/min; Viergang-Getriebe; Handschaltung; Hinterradantrieb |
Aufbau und Fahrwerk Viersitziges Coupé, selbsttragende Stahlkarosserie mit zwei Türen; Radaufhängung: vorn Einzelradaufhängung, Dreieckslenker, Drehstabfederung, Teleskopstoßdämpfer; hinten Drehstabfederung, Teleskopstoßdämpfer; Kegelradlenkung; Bremsen: v./h. Scheiben/ Trommeln; Reifen: v./h. 185 HR 15 |
Eckdaten L/B/H: 4830/1720/1460 mm; Radstand: 2835 mm; Spurweite v./h.: 1330/1416 mm; Leer-/Gesamtgewicht: 1450/1900 kg; Tankinhalt: 70 l; Bauzeit: 1962 bis 1965; Stückzahl: 603; Preis (1962): 29.850 Mark |
Fahrleistungen1 Beschleunigung: 0 auf 100 km/h in 12,0 s; Höchstgeschw.: 200 km/h; Verbrauch: ca. 16 l /100 km |
Johannes Riegsinger