Audi-Chef Markus Duesmann: Interview
"Die größte Revolution in der Autoindustrie"
Das Auto wandelt sich, es wird zunehmend elektrisch und soll bald ganz allein fahren. Audi-Chef Markus Duesmann spricht im Interview der AUTO ZEITUNG über die großen Herausforderungen der Branche.
Herr Duesmann, beginnen wir mit einer heiß begehrten Mangelware: Speicherchips. Wie ernst ist die Lage?
Wer sagt, die Chipkrise sei vorbei, dürfte den Überblick verloren haben. Wir bei Audi haben uns bisher gut geschlagen, dennoch gab es auch bei uns Produktionsstillstände. Wir besprechen im Konzern intensiv, wo wir die vorhandenen Speicher am sinnvollsten einsetzen. Sicher ist, dass es in diesem und auch im nächsten Jahr noch Turbulenzen geben wird.
Der Audi RS Q e-tron im Video:
Weshalb so lange noch?
Das Thema Prozessoren wird uns noch lange beschäftigen, weil der Bedarf auch außerhalb der Automobilwelt so schnell zunimmt, dass er das Wachstum der Produktionskapazitäten übersteigt.
Blicken wir noch weiter nach vorn. In zwölf Jahren soll die komplette Audi-Palette elektrisch sein. Gilt das für Ihr globales Programm oder nur für bestimmte Märkte?
Wir planen global. Lediglich China ist ein Sonderfall. Die Gesetzgebung dort unterscheidet sich von der der übrigen Welt, und auch das Käuferverhalten ist ein anderes. Wenn die Menschen dort noch etwas länger Verbrenner wollen, dann werden wir diese in China für China solange eventuell noch produzieren. Doch das wissen wir heute noch nicht und treiben auch in China die Elektrifizierung konsequent voran.
Wie sieht es in Südafrika oder Teilen von Südamerika aus? Dort wird keine E-Mobilität verkauft.
Auch dort werden wir keine Verbrenner mehr verkaufen. Ich bin davon überzeugt, dass es einer Marke guttut, wenn sie sich auch in dieser Frage klar aufstellt.
Wenn Sie von Elektro-Autos sprechen, meinen Sie dann die batterieelektrischen oder beziehen Sie die Plug-in-Hybride mit ein?
Plug-in-Hybride nutzen Verbrennungsmotoren und sind damit keine Elektro-Autos.
Die Asiaten forcieren die Brennstoffzellen-Technologie. Gehen Sie mit?
Es gibt auf der Welt nicht ausreichend grünen Wasserstoff, und gäbe es ihn, würde ich ihn eher in der Stahlproduktion einsetzen. Wir haben so viele Industriesektoren, die dringender Wasserstoff benötigen, da sie für die Dekarbonisierung sonst keine Alternative haben. Aus unserer Sicht gibt es unter den aktuellen Voraussetzungen kein wesentliches Einsatzgebiet für die Brennstoffzelle im Pkw. Sie brauchen eine große Menge an Grünstrom, den Sie zunächst in Wasserstoff umwandeln, um dann im Auto wieder Grünstrom daraus zu machen und diesen in Bewegungsenergie umzuwandeln. Das ist für mich als Ingenieur schlicht absurd. Am Ende des Tages muss doch klar sein, dass auch ein Wasserstoff-Auto nur ein Elektro-Auto mit einer kleineren Batterie ist.
Dafür geht das Nachtanken sehr viel schneller.
Das Tanken ist tatsächlich ein Thema, und genau deshalb fordern wir mehr Tempo beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. Es ist entscheidend, dass der Kunde sein Auto sehr komfortabel laden kann, egal wo er ist. Wir als Gesellschaft sollten uns festlegen, was wir wollen. Wollen wir eine Wasserstoff-Infrastruktur, oder wollen wir eine Elektro-Infrastruktur? Letztere lässt sich viel einfacher realisieren, da sie sowieso jeder zu Hause hat. Die Zahl der öffentlichen Ladepunkte könnte noch schneller wachsen, dafür setzen wir uns ein.
Also legen Sie das Thema Wasserstoff ad acta?
Unser Kompetenzzentrum in Neckarsulm führt die Aktivitäten in der Forschung fort, um auch bei dieser Technologie stets handlungsfähig zu bleiben und rechtzeitig wichtige Erfahrungen zu sammeln – auch für mögliche stationäre Anwendungen. Wir glauben jedoch, dass unserer Elektro-Strategie und ihrer Technologie-Klarheit eine große Kraft innewohnt, die positiv ins Unternehmen und auch in die Gesellschaft wirkt.
In Europa sind ca. 240 Mio. Fahrzeuge unterwegs. Es wäre ein großer Fortschritt, diese Flotte zumindest teilweise mit sauberer Energie zu betreiben. Wie stehen Sie zu synthetischen Kraftstoffen?
Seien wir ehrlich: Solange wir noch Öl aus der Erde pumpen und verbrennen, wird es diesem Planeten schlechter gehen. Da ist synthetischer Kraftstoff, der aus regenerativen Quellen erzeugt werden kann, eine Lösung für die Bestandsflotte. Vergessen wir nicht den Flugverkehr. Wenn die Luftfahrt CO2-neutral werden will, braucht sie synthetische Kraftstoffe. Hier zu investieren, ist absolut sinnvoll.
Investieren Sie denn in den neuen Biosprit?
Das haben wir zusammen mit Porsche bereits getan, und wir haben bewiesen, dass es funktioniert. Porsche treibt die Technik weiter voran. Wir selbst stellen unser Neuwagengeschäft sukzessive auf Elektro-Modelle um.
Mit dieser Umstellung werden auch echte Fan-Motoren verschwinden – etwa der fabelhafte Fünfzylinder im RS 3 …
Glauben Sie mir, ich bin ein Entwickler von Verbrennungsmotoren, und ich liebe diese Technik. Aber auch ich muss einsehen, dass sie irgendwann ein Ende hat.
Würde der Fünfzylinder die EU-7-Hürde nehmen?
Aus technischer Sicht ja.
Ein möglicher Nachfolger des R8 wäre dann auf jeden Fall elektrisch?
Sofern es einen geben wird, lautet die Antwort ja.
Ein weiteres Zukunftsthema ist das autonome Fahren. Der heutige A8 kann schon jetzt mehr, als der Gesetzgeber erlaubt. Wann kommt der Durchbruch?
Die Digitalisierung und die Autonomisierung sind die mit Abstand größte Revolution in der Automobilindustrie, größer noch als die E-Mobilität, die ja nur eine andere Art des Antriebs bedeutet. Die Software der autonom fahrenden Autos wird die wahrscheinlich komplexeste auf der Welt sein. Sie ermöglicht ein unfallfreies Fahren und eröffnet völlig neue Möglichkeiten. Wenn ich im Stau stehe, dann macht Fahren keinen Spaß – egal in welchem Auto ich sitze. Wenn ich dann sagen kann: "Komm, fahr allein!" und ich schaue mir einen Film an oder bereite mich auf ein Interview wie dieses vor, dann hat das doch einen gewissen Charme.
Der sich aber erst dann entfaltet, wenn ich der Sache vertrauen kann. Kommt also endlich das fehlerfreie Auto?
Eine zentrale Fragestellung für die Einführung einer automatisierten Funktion ab Level 3, bei der der Fahrer zeitweise unter bestimmten Bedingungen dem Verkehrsgeschehen nicht folgt, ist die, wie das Fahrzeug die Sicherheit gewährleisten kann. Sicherheit ist für uns kein Differenzierungsmerkmal, sondern eine Grundvoraussetzung beim automatisierten Fahren. Insbesondere haben wir bei Audi eigene Qualitäts- und Sicherheitsansprüche, bevor wir eine automatisierte Fahr- oder Parkfunktion als marktfähig für unsere weltweiten Kunden einschätzen.
Wie viel Zeit hat der von Audi entwickelte Modulare Längsbaukasten, auf dem zum Beispiel Modelle wie A4, A6 und Q7 basieren, noch vor sich?
Bis zum Schluss im Jahr 2033. Die letzten Verbrenner werden die MLB-basierten sein. Und im Übrigen werden diese dann von den besten Verbrennungsmotoren angetrieben, die Audi jemals gebaut hat.
Gilt das auch für den nächsten A8?
Unser Audi grandsphere zeigt sehr gut, wo wir mit einer Limousine im D-Segment hinwollen. Er ist jedoch nicht der Nachfolger unseres Flaggschiffs A8. Dieses startet in Kürze mit geschärftem Design und einem umfangreichen neuen Technologieportfolio in die zweite Hälfte des Lebenszyklus – vermutlich das letzte Mal mit Verbrennungsmotoren weltweit.
Zum Schluss ein Blick auf den Motorsport: Wäre die Formel 1 interessant?
Motorsport gehört zu Audi. Aktuell sind wir mitten in der Erprobung unseres RS Q e-tron für die Rallye Dakar im kommenden Jahr. Und die Formel 1 hat mit Abstand die größte Reichweite. Aber sie wird sich wandeln müssen. Wenn sie es tut, sind wir immer gesprächsbereit.
Das Gespräch führten Volker Koerdt und Stefan Miete